Iman Youssefs Geschichte vom Neustart zum Erfolg

Iman Youssef kam mit 12 Jahren nach Österreich, hat nach nur dreieinhalb Jahren im österreichischen Schulsystem als eine der Drittbesten die Mittelschule abgeschlossen und absolvierte die AHS Matura. Ihre inspirierende Geschichte erzählt uns die nun 20-Jährige in einem Interview.
Hallo Iman, danke für das Interview! Kannst du uns erzählen, wie du die erste Zeit im österreichischen Schulsystem erlebt hast und wie es dir ergangen ist?
Fremd, es war alles fremd und anders. Ich saß zum ersten Mal in der Klasse und habe kein Wort verstanden. Vor allem, wenn sie im Dialekt gesprochen haben. Ich war in Syrien immer eine sehr gute Schülerin und ging sehr gerne zur Schule. Hier war alles neu und ich habe die Schule anfangs gehasst. Ich fühlte mich plötzlich einsam. Ich dachte, ich müsste all meine Ziele aufgeben. Ich sprach kein Wort Deutsch, und wir verstanden einander nicht. Zwei Mädchen aus meiner Klasse wollten mir helfen und versuchten mit mir zu reden, haben mir sogar ein bisschen Deutsch beigebracht. Sie gaben mir auch Stifte, damit ich malen konnte - das tat gut. Plötzlich realisierte ich, dass ich mich in einer anderen Welt befinde. Hier war alles für mich neu. Neue Wohnung, neue Schule, neue Sprache, neue Kultur und Menschen, die sich doch anderes verhalten und denken als wir in der Heimat. Die Fächer waren zwar ähnlich wie in Syrien, aber der Unterricht war ganz anders. Bei uns gab es keine digitalen Tafeln, das war mir völlig unbekannt. In Syrien hatten wir auch nicht so viele Arbeitsblätter wie hier und alles war weniger digital. Auch die Benotung ist anders. In Syrien ist die 10 die beste Note, hier ist es die 1. Auch die Prüfungen liefen anders ab. In Syrien gab es in allen Fächern Schularbeiten und immer am Ende des Semesters. Referate oder Präsentationen gab es in Syrien nicht. Mein erstes Referat hier in Österreich musste ich auf Deutsch halten. Ich war nervös und schämte mich, weil ich noch nicht so gut Deutsch sprach.
Wie hast du es geschafft, die Sprache so schnell zu lernen, um schulisch erfolgreich zu sein?
In den ersten zwei Jahren gab es in der Mittelschule eine Deutsch-Gruppe. In Fächern wie Musik, Sport usw. waren wir mit den anderen Mitschüler:innen zusammen, sonst waren wir in den Deutschgruppen. Hier haben wir neben der Sprache auch viel über die Kultur in Österreich gelernt. Das war extrem hilfreich! Wir hatten eine kleine Gruppe und haben die Sprache von null auf gelernt. Erst in der dritten Mittelschulklasse fing ich an mehr am regulären Unterricht mitzumachen. Ich wurde auch erst da, also nach zwei Jahren benotet. Im letzten Jahr kam Covid und wir mussten zuhause lernen. Ich habe dies natürlich ausgenutzt und am Ende merkte ich, wie ich mich verbessert habe. Ich bekam tatsächlich bessere Noten und wurde eine der drei Besten in der Klasse. Am Anfang der Schule hatte ich wirklich keine Hoffnung mehr!
Du hast nach der Mittelschule eine AHS besucht. Aus welchen Gründen hast du dich für diesen Ausbildungsweg entschieden?
Damals hat mir eine BIFO-Mitarbeiterin das Gymnasium Schillerstraße mit dem Zweig Naturwissenschaften und Informatik empfohlen. Denn ich wollte Medizin studieren und diese Schule solle mich darauf ein wenig vorbereiten. Trotz vieler Menschen, die mich demotivierten und davon abraten wollten, ging ich voller Motivation ans Gymnasium. Am Anfang kam ich kaum klar, es war tatsächlich eine der größten Herausforderungen in meinem Leben. Das (Deutsch-) Niveau dort war sehr hoch verglichen mit dem in der Mittelschule. Ich dachte fast, dass ich es wirklich nicht schaffen werde. Ich habe immer mehr gelernt und mehr Zeit investiert. Und es hat sich am Ende gelohnt.
Wie hast du diese Zweifel überwunden? Gab es Personen, die dich auf deinem Weg inspiriert oder unterstützt haben?
Mit der Unterstützung meiner Familie. Ich hatte meine Mama als Vorbild. Sie hat studiert und wenn ich sie anschaue, weiß ich, ich will auch studieren und will noch mehr erreichen. Ich wusste immer: Ich will mehr. Das ist ein Grund, weshalb ich immer weiter gemacht habe. Neben meiner Familie, war das START-Stipendium eine große Unterstützung für mich. Ich hatte um mich herum Menschen, die mir geholfen haben und die uns sagten: Wir lernen das gemeinsam, wir schaffen das! Das START Stipendium war wie eine zweite Familie für mich. Die Menschen waren alle ähnlich wie ich. Alle Schüler:innen mit Migrationshintergrund, die Matura machen wollen. Das hat mir geholfen und ich wusste, ich muss mich jetzt beweisen! Neben der finanziellen Unterstützung durch das START Stipendium bekam ich auch Nachhilfe, konnte an Workshops zu den Themen Persönlichkeitsbildung, Körpersprache und Potenziale entfalten teilnehmen, mir wurde bei allgemeinen Fragen geholfen und ich schätze die tiefgründigen Gespräche. Das hat mir echt geholfen, mich weiterzuentwickeln. Eine der Leiterinnen hat mir sogar das Studium empfohlen, welches ich 2025 beginnen möchte und sie schreibt mir heute noch, wie es mir geht und ergangen ist. Ich bin seit Juni 2024, also nach der Matura nicht mehr dabei und ich vermisse es richtig.
Welche Herausforderungen hast du in den ersten Jahren in Österreich erlebt, insbesondere im Bildungssystem?
Die Sprache! Wenn du die Sprache nicht kannst, kannst du keine guten Noten bekommen und dich nicht in die Klasse integrieren. Ich konnte anfangs nicht zur Klasse gehören, weil meine Mitschüler:innen mich nicht verstanden und ich sie nicht. Ich konnte keine wirklichen Freundschaften schließen. Auch beantwortete ich viele Fragen im Unterricht nicht, obwohl ich die Antwort wusste. Aber ich konnte die Sprache noch nicht perfekt und schämte mich, wenn ich mich nicht richtig ausdrücken konnte. Sobald ich die Sprache konnte, waren die Noten besser und ich fühlte mich viel integrierter. Neben der Sprache, war auch das Ungewisse eine große Herausforderung. Ich hatte das Gefühl, ich kenne meine Zukunft nicht. Ich bin ein sehr strukturierter Mensch, der immer einen Plan hat. Deshalb war es sehr schwierig, nicht zu wissen, was auf mich zu kommt und ob ich überhaupt einen Pflichtschulabschluss schaffen werde.
Welchen Rat würdest du jungen Menschen geben, die in einer ähnlichen Situation sind wie du es warst?
Das ist die schwierigste Frage bis jetzt. Hoffnung nicht verlieren und einfach weitermachen! Ich habe mich hier nicht mehr getraut zu reden, vor allem vor Muttersprachler:innen. In Syrien redete ich immer sehr gerne und habe sogar mit sechs Jahren vor 300 Menschen eine Rede gehalten. Mit 15 Jahren und in deutscher Sprache, hätte ich mich das nie getraut! Ich habe aber gelernt, dass man durch Fehler lernt. Sich also einfach trauen und Mut haben! Die Sprache zu können ist sehr wichtig. Mir hat es geholfen, Bücher auf Deutsch zu lesen. Am Anfang habe ich es gehasst, jetzt lese ich sie freiwillig. Zuerst mochte ich es gar nicht, aber irgendwann wird’s zum Hobby!
Du trittst ja auch als Role Model auf und erzählst Menschen von deiner Geschichte. Wie erlebst du das?
Es ist ein fremdes Gefühl, was ganz Neues für mich, weil ich mich lange als Versagerin gesehen habe und auf einmal sehe ich mich als Vorbild. Ich war stolz auf mich, dass ich anderen Hoffnung geben kann. Zum Beispiel gab es dieses junge Mädchen, das mich fragte, was sie machen kann, um besser in Deutsch zu werden. Ich gab ihr den Tipp Bücher zu lesen. Es war schön, mit diesem Mädchen zu sprechen, weil ich mir dachte: Ich hätte mir das für mich selbst gewünscht. Dass ich jemand habe, der mir Mut zuspricht und bei dem ich sehe: Diese Person hat es geschafft!
Wo siehst du dich in 5 Jahren? Was sind deine Ziele?
In 5 Jahren habe ich hoffentlich mein duales Studium der Wirtschaftspsychologie bei BMW in München fast abgeschlossen. Später habe ich dann hoffentlich eine fixe Arbeit und eine eigene Familie. Irgendwann will ich mal mein eigenes Unternehmen gründen – ein kleines Cafe oder auch im Bereich Kosmetik.